Orpheus und Eurydike

Dreh dich jetzt bloß nicht um...

 

Einst reiste ich mit den Argonauten, auf Mission, das Goldene Vlies zu entdecken

 

 

Nach meiner Rückkehr setzte ich mich an ein Bachuferufer und begann, auf meiner Leier zu spielen.

Jeden Tag war ich nun an derselben Stelle und sang.

Dann kam sie, nahm an meiner Seite Platz und hörte zu.

 

Jeden Abend gegen Sonnenuntergang schwamm ich zum selben Bachufer, an dem ich seine Leiermusik zum ersten Mal gehört hatte.
Jedes Mal saß er dort, auf dem selben Stein, und spielte die schönsten Melodien, die die Welt je zu Ohren bekommen hatte.

 

 

Irgendwann, verliebt, wie wir waren, entschlossen wir uns, zu heiraten

 

 

„Exitus auspicio gravior: nam nupta per herbas

dum nova Naiadum turba comitata vagatur,

occidit in talum serpentis dente recepto.“ 

 

„Schrecklicher war, was geschah, als der Anfang. Während im Grünen

Wandelte unter der Schar der Naiaden die kürzlich Vermählte,

Fand sie den Tod, an der Ferse verletzt vom Zahne der Schlange.“

 

 

 

„Reiß dich zusammen“

 

Kennst du das, wenn du nicht mehr weinen kannst?

Auch kein Entsetzen und keine Furcht mehr empfinden kannst.
Dröhnende Stille.

 

 

Dann ließ ich mich fallen

 

Das war logisch, dachte ich mir:

Ich wollte in die Unterwelt, sie zurückholen.

Die Unterwelt muss unten liegen, das sagt der Name,

und die

Schwerkraft zieht einen nach unten, wenn man sie lässt.

 

 

„Quam satis ad superas postquam Rhodopeius auras

deflevit vates, ne non temptaret et umbras,

ad Styga Taenaria est ausus descendere porta“

 

„Als zum Himmel um sie nun Rhdopes Sänger genugsam

Hatte geklagt, da wagt' er zum letzten Versuch, bei den Schatten

Durch das tainarische Tor zur Styx in die Tiefe zu steigen“

 

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„Causa viae est coniunx, in quam calcata venenum

vipera diffudit crescentesque abstulit annos.

posse pati volui nec me temptasse negabo:

vicit Amor. per ego haec loca plena timoris,

per Chaos hoc ingens vastique silentia regni,

Eurydices, oro, properata retexite fata“

 

„Mich führt her mein Weib, der eine getretene Viper

Gift in die Wunde geströmt und gekürzt die blühenden Jahre.

Stark zu ertragen den Schmerz, nicht will ich es leugnen, versucht' ich;

Amor behielt den Sieg. Bei diesem unendlichen Chaos,

Hier bei den Stätten des Grauns und der Öde des weiten Gebietes

Fleh ich zu euch: knüpft neu Eurydikes schleuniges Schicksal!“

 

 

„Talia dicentem nervosque ad verba moventem

exsangues flebant animae; nec Tantalus undam

captavit refugam, stupuitque Ixionis orbis,

nec carpsere iecur volucres, urnisque vacarunt

Belides, inque tuo sedisti, Sisyphe, saxo.“

 

„Während er also sprach und zum Sang eingriff in die Saiten,

Weinte die blutlose Schar der Gestorbenen. Tantalos haschte

Nicht nach der weichenden Flut, und es stockte das Rad des Ixion;

Nicht mehr ward von den Geiern die Leber zerhackt; die Beliden

Ließen die Urnen in Ruh, und Sisyphos saß auf dem Steine.“

 

 

„Eurydicenque vocant: umbras erat illa recentes

inter et incessit passu de vulnere tardo.

hanc simul et legem Rhodopeius accipit heros,

ne flectat retro sua lumina, donec Avernas

exierit valles; aut inrita dona futura.

 

„Und Eurydike ruft ihr Geheiß. Die war bei den neuen

Schatten und ging mit verzögertem Schritt, von der Wunde gehindert.

Sie und die Weisung zugleich empfängt nun Rhodopes Heros,

Dass er zurück nicht wende den Blick, bis dass er gelangt sei

Aus dem avernischen Tal; sonst wär' er der Gabe verlustig.

 

 

„Nec procul afuerunt telluris margine summae:

hic, ne deficeret, metuens avidusque videndi

flexit amans oculos, et protinus illa relapsa est,

bracchiaque intendens prendique et prendere certans

nil nisi cedentes infelix arripit auras.“ 

 

„Nicht mehr waren sie fern vom Rande der oberen Erde,

Da, sie verlangend zu sehn und besorgt, dass Kraft ihr gebreche,

Schaut er liebend sich um, und zurück gleich ist sie gesunken.

Sehnlich die Arme gestreckt, auf dass er sie fasse und selber

Werde gefasst, hascht nichts denn weichende Lüfte der Arme.“

 

 

„Iamque iterum moriens non est de coniuge quicquam

questa suo (quid enim nisi se quereretur amatam?)

supremumque ‚vale,‘ quod iam vix auribus ille

acciperet, dixit revolutaque rursus eodem est.“

 

„Ob sie wiederum stirbt, sie klagt nicht über den Gatten:

Was auch war zu beklagen für sie, als dass sie geliebt war?

Scheidenden Gruß,den kaum sein Ohr noch konnte vernehmen,

Rief sie ihm zu und wurde gerafft zu der vorigen Stätte.“

 

 

„Omnemque refugerat Orpheus femineam Venerem.

ille etiam Thracum populis fuit auctor amorem

in teneros transferre mares citraque iuventam

aetatis breve ver et primos carpere flores.“ 

 

„Und es hatte der weiblichen Liebe Orpheus gänzlich entsagt.

Er gab Vorbild auch den thrakischen Stämmen, dem zarten

Männergeschlecht in Liebe zu nahn und die Blüte der Jugend

Und den vergänglichen Lenz vor dem Jünglingsalter zu pflücken.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Und wenn er gestorben ist – wer weiß – vielleicht sehen wir uns wieder

 

 

 

 

 

 

 

 

Lateinischer Text & Übersetzung von Gottwein.